KOLLEKTIV EMMA Mitglied Thomas Spieker (deutscher Staatsbürger, seit 41 Jahren an der Costa Brava) beantwortet die Analyse von Stefan Kornelius zur Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU. In seiner Kolumne (link, s.u.) schreibt Kornelius u.a.: "Zu sehen ist erschreckend wenig Gemeinsinn in der Union. Es ist die Nation, die Sicherheit verspricht. Und selbst die ist häufig noch zu groß für die vielen Eigenbrötler, die von Katalonien bis Schottland ihre Variante vom Schneckenhaus predigen. Das alles zeugt von einer Überforderung mit Europa."
Ein sehr konstruktiver, wenngleich nicht unkritischer Beitrag, dessen Inhalt und Gedanken ich (fast) vorbehaltlos teilen kann. Nur am Ende fühle ich mich als Vollbluteuropäer und Wahlkatalane ein wenig unverstanden. Die Katalanen "bröteln" nicht gegen Europa - ganz im Gegenteil. Sie wären nicht nur Nettozuzahler der EU, sondern auch eine wichtige, verläßliche Stütze im Mittelmeerraum. Der katalanische Unabhängigkeistdrang begründet sich auf Ungerechtigkeiten, die selbst in 35 Jahren Demokratie nicht ausgemärzt werden konnten und die das Land heute fast zu ersticken drohen. Nur 15-20% der Katalanen wollen raus aus Spanien, um ihren Nationalstolz zu unterstreichen. Der Rest, unter ihnen die Kinder und Kindeskinder zigtausender Einwanderer aus dem Süden Spaniens, die in den 60iger und 70iger Jahren gekommen sind, um die boomende Tourismuswirtschaft und Industrie zu unterstützen, wollen die Unabhängigkeit, weil Spanien das Land verachtet und es hemmungslos belügt und verrät.
Nur ein Beispiel: seit über 20 Jahren baut Spanien Hochgeschwindigkeitstrassen sternförmig in alle Himmelsrichtungen - immer von Madrid aus. Heute hat Spanien mehr Gleiskilometer für Bullet-trains als jedes andere Land der Welt, einschließlich Japan oder China. Dabei fahren auf der ersten Strecke, Madrid-Sevilla, die 1992 eingeweiht wurde, mittlerweile nur noch die Hälfte der Züge als vor 20 Jahren. Andere Verbindungen wurden innerhalb von 6 Monaten nach ihrer Eröffnung gleich ganz wieder eingestellt. Die Verbindung Barcelona-Frankreich jedoch, die einzige, bei der sich alle Experten ob ihrer Rentabilität einig sind, wird seit 14 Jahren aufgeschoben.
Der Verdruß der Menschen in Katalonien beruht auf der Tatsache, daß Madrids Chauvinismus das Land täglich mehr verarmen läßt. Er ist die Folge der Tatsache, daß Madrid sich zum Beispiel im Jahr 2009 19,25% des Staatshaushalts in Katalonien "abgeholt", aber nur 14,14% der Investitionen hier getätigt hat. Katalonien ist, im Gegensatz zu Schottland, kein Land mit großen Erdölvorkommen oder sonstigen Bodenschätzen. Es ist ein Land, das seinen Reichtum der Geschäftstüchtigkeit seines Volkes verdankt. Und Händler mit Schneckenhausmentalität sind ein Widerspruch in sich, auch wenn zugegebenermaßen manche Katalanen Schwierigkeiten damit haben, über ihren eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Die sind jedoch in der Minderheit.
Thomas Spieker Link zum Originalartikel von Stefan Kornelius (Süddeutsche Zeitung):
http://www.sueddeutsche.de/politik/friedensnobelpreis-fuer-eu-therapiesitzung-fuer-den-krisenkontinent-1.1547192. Thomas Spiekers Kommentar wurde von der Redaktion der Süddeutschen Zeitung ausgewählt und als "lesenswert" empfohlen.